Wechselbad der Gefühle in der Michaeli Schule
Zeitzeuge Alfred Bruske machte seine Lebensgeschichte „Mein langer Weg“ zum Ereignis
Großes Interesse rief am 12. Februar 2020 um 18.30 Uhr der Zeitzeugenbericht Alfred Bruskes mit integrierter Lesung im Musiksaal hervor. Von der 7. bis zur 13. Klasse sowie interessierte Eltern hatten den Weg zu diesem Austausch über gar nicht so sehr vergangene Zeiten auf sich genommen. Alfred Bruske, 88 Jahre alt, zeigte sich selbst mehrfach von der spürbaren Anteilnahme seiner Zuhörer berührt, gestand während seiner Lesung aber auch, dass ihm die wieder geweckten Erinnerungen seines Vortrags immer noch zur Traurigkeit Anlass böten und ihn aufwühlten.
Anders ist es auch den Zuschauern dieses denkwürdigen Abends nicht ergangen: Bruske erzählte vom Einfluss seines katholischen Großvaters in Schlesien, der ihn als Heranwachsenden vor der Ideologie der Nationalsozialisten geimpft habe, von kleinen und größeren sowie mitunter gefährlichen Anekdoten der Zivilcourage, die ihn – wohlgemerkt in Kindheitstagen – bis ins Gefängnis gebracht hätten. Außerdem erzählte er vom Kampf „bis zum letzten Blutstropfen“ und niederschmetternden Kriegserlebnissen am Ende des 2. Weltkriegs sowie von jeweils problematischen Erfahrungen bezüglich seiner Flucht aus der Heimat und der späteren Vertreibung durch die Polen (nach zwischenzeitlicher Rückkehr in die Heimat). Unerwähnt sollte man auch nicht seine Zeit beim Minenräumkommando lassen, in dem ein falscher, unvorsichtiger Schritt den Tod hätte bedeuten können, währenddessen er seinen besten Freund verlor.
Und als ob dies nicht genug für ein Leben gewesen wäre, so begann das richtige Leben für Bruske erst mit der Ankunft im Westen Deutschlands: Ausbildung zum Schreiner, was er als Handwerk noch heute passioniert betreibt; Aufnahme und Abschluss eines Lehramtsstudiengangs für Religion und Kunst; anschließende Lehrertätigkeit sowie später auch Organisator für Lehrerfortbildungen im Fachbereich Religion für das Erzbistum Köln.
Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern lauschen gespannt dem Bericht von Alfred Bruske
Hier nun Stimmen von Teilnehmern – Schüler*innen und Eltern:
„Ihre Geschichte hat mich sehr ergriffen. Und jedes Mal, wenn Sie eine Pause gemacht haben, ist mir mehr und mehr klar geworden, dass das wirklich passiert ist. Natürlich wusste ich schon, dass der 2. Weltkrieg passiert ist, aber der Abend hat nochmal irgendwas in mir verändert. Da ich gerade 14 Jahre alt bin, konnte ich mich gut in Sie (und die damalige Situation) hineinversetzen, vor allem aber durch ihren Erzählstil“ (Franziska, 9. Klasse).
Eine Mutter merkte an, dass schon viel dazu gehöre, die herben Erfahrungen der Kindheitstage zu verdauen und dass es deshalb für eine besondere Kraft und Optimismus spreche, dass Herr Bruske seinen Weg nach diesen Geschehnissen so gut habe gehen können.
Bruske betonte, dass er im freien Westen tatsächlich Glück gehabt habe, seine Verwandten, die in Schlesien verblieben waren (z.B. seine Cousine), ähnlich begabt wie er, hätten aber im kommunistischen System ungleich schwierigere Rahmenbedingungen vorgefunden. Ihnen sei das Glück eines persönlichen Aufstiegs und der Selbstverwirklichung verwehrt geblieben, weil sie auf der „falschen“ Seite des eisernen Vorhangs lebten.
Nach der Schilderung dieses bewegten Lebens war es dann kein Wunder, dass die sich anschließende Fragerunde lebhaft und vielgestaltig ausfiel. Darin kamen die Themen Flucht und Vertreibung, Anspielungen auf die AfD und den politischen Zustand unserer heutigen Gesellschaft ebenso zum Ausdruck wie Fragen nach seinen noch lebenden Geschwistern und seinen vielfältigen Hobbys wie z.B. der Vogelkunde und der Jagd.
Am Ende erlebten die vom Vortragenden beeindruckten Zuhörer einen gelösten und dankbaren Zeitzeugen, dessen Schilderungen trotz nicht leichten Inhalts eine plastische Vorstellung von einer Zeit geschaffen und Wertschätzung gegenüber unserer heutigen friedlichen Gesellschaft hervorgebracht hatten.
Sven Hansen
Sven Hansen (li), Oberstufenlehrer und Initiator der Lesung, dankt Alfred Bruske